Der Lithograf Heinrich Zille ist entlassen worden - nach 30 Jahren zuverlässiger und mühevoller Arbeit ist er ,,zu alt für die Firma“! Was soll nun werden? Erschrocken steht Zille auf der Straße. Miete muss bezahlt werden, und Brot gibt kein Bäcker umsonst. Hansens Schulgeld ist fällig, die Winterkohlen sind zu kaufen, und dem Zeitungsjungen Emil wollte er endlich richtige Schuhe schenken. Ratlos geht er durch die Straßen. Auch wenn es so aussieht - Heinrich Zille ist noch nicht am Ende. Mit seinen Zeichnungen findet er einen neuen Anfang, und für die Berliner Hinterhauskinder Emil und Paule, Fritz und Otto, für alle, die er malt, wird Zille später „der Pinselheinrich“ sein. Aber bis dahin ist es noch ein weiter und mühevoller Weg. Das mit Zillezeichnungen illustrierte Buch für Kinder ab 10 Jahre erschien erstmals 1977 in Der Kinderbuchverlag Berlin, 1986 unter dem Titel „Der Pinselheinrich“ im Elefanten Press Verlag, Berlin (West). Leseprobe: „Und unter jede noch einen kleinen Witz, so’n paar lustige Worte. ’n echter Berliner lässt sich nicht unterkriegen, behält stets den Humor.‘‘ Zuerst hat ihn diese Forderung von Fräulein Mehlitz gekränkt. Will man sich auf Kosten seiner armen Leute amüsieren? Das duldet der Pinselheinrich nicht. Auf keinen Fall. Aber soll’n sie ihre Witze haben. Seine Straßenkinder sind schlagfertige Gören, und es gibt kein schärferes Schwert als eine spitze Zunge. Mit diesem Schwert wird er kämpfen für die, die sich selbst nicht wehren können. Wird denen Mut machen, die manchmal schon ohne jede Hoffnung sind. Auf dem vor ihm liegenden Blatt hat er eine Mansarde gezeichnet. Eine lausig kalte Bude ohne Ofen. Am Bett klettern drei Kinder herum. Ein viertes hockt vor der Kommode, die es zu öffnen versucht. Vorn im Bild steht ein Arzt. Tadellos gekleidet. Ihn hat man geholt, damit er für Hans einen Totenschein ausfüllt. Der kleine Hans war nur ein paar Wochen alt geworden. Zu wenig Milch und zu viel Wasser im Fläschchen. Das vertrug er nicht. „Darüber reißt man keine Witze“, sagt Zille so heftig, dass Hanseken erschrocken „diü!“ schreit. Er nimmt den Federhalter, taucht ihn ins Tintenfass, stockt, taucht nochmals tief in die dunkle Flüssigkeit und schreibt unter das Blatt: Arzt: „Kinder, wo ist denn euer heute morgen verstorbenes Brüderchen?“ Kinder: „Ach, Herr Doktor. Mutter ist weggegangen und hat den Hans in die Kommode geschlossen, wir soll’n nicht mit ihm spiel’n.“ Was werden das Fräulein Mehlitz und der Verlagschef dazu sagen? Auf diese Frage weiß Hulda Zille ihrem Mann beim besten Willen nichts zu antworten. Im Augenblick ist ihr sowieso etwas anderes viel wichtiger. Seine Gesundheit. Seit Tagen hockt er in der Stube, wie angeleimt. Ganz zu schweigen von den halben Nächten, die er über seinen Stricheleien verbringt. Beißender Pfeifenqualm hängt in Gardinen und Möbeln. Dieses ständige Rauchen! Ruinieren wird sich Heinrich. Alles wegen diesem Buch! Zur Zuckerkrankheit wird er sich noch eine Lungenschwindsucht aufhalsen. Das muss sie verhindern, und sie hat sich schon eine List ausgedacht, ihn an die frische Luft zu schicken. Sie wird Fenster putzen. „Hulda, aber doch nicht jetzt!“, protestiert er. „Ich muss arbeiten.“ „Ja,ja ...“ Unbeirrt rückt sie die Staffelei zum Schrank, um das Fenster zu öffnen. „Zum Arbeiten brauchste Licht, Vater ... unsere Scheiben lassen bald keins mehr durch ... wenn ich das Wetter nicht nutze ...“ „Ausgerechnet heute!“ Er wirft ihr einen bösen Blick zu. „Morgen kann’s schon wieder regnen.“ Sie darf nun nicht nachgeben. „So dreckig sind sie doch gar nicht.“ Hulda quartiert bereits Hanseken samt Käfig in die Küche um, damit er sich nicht erkältet. Zille möchte mit der Faust auf den Tisch hauen. So einen Zorn hat er. Aber er braucht beide Hände, um seine Zeichnungen festzuhalten. Sonst weht der Wind sie vom Tisch. Diese Hulda! „Und wo bleib ich?“, knurrt er. „Vertret dir’n Stündchen die Beine, Vater.“ Sie sagt es mit einem Lächeln, dass er sich wortlos fügt.
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